Aus der Chronik des Ortsvereins Seligenstadt
 
     
  DER „FALL KATZ" UND SEINE FOLGEN

Was sich schon Wochen vorher angedeutet hatte, wurde am 22. Juli 1919 Realität: Das Mitglied der SPD und des Gemeinderates Rudolf Katz trat zur USPD über. Dieser Wechsel kam nicht überraschend, obwohl er nun von den Mehrheits-Sozialdemokraten (MSPD) heruntergespielt wurde. Dazu schreibt das „Offenbacher Abendblatt" am gleichen Tag:

„Der Rollenwechsel kommt nicht überraschend, denn jeder, der ihn kannte, weiß, dass er es mit der grundsätzlichen Parteipolitik nicht ernst nimmt, sondern dort hingeht, wo er glaubt, seine ehrgeizigen Pläne verwirklichen zu können. Hat er doch schon mehrere Jahre Anschluß bei der hessischen Zentrumspartei gesucht, aber nicht gefunden, ja sogar im „Mainzer Journal" einen Aufsatz über „Das Prager Jesu-Kind" geschrieben, um seiner Zentrumspolitik Ausdruck zu geben. Nun ist er bei der USPD. Alle waren froh, über diesen Wechsel - hat er doch die Partei stets als Sprungbrett für seine Zwecke benutzt, auch dieselben bei der letzten Gemeindewahl nahezu zum Bankrott geführt. Man verlangt, dass er sein Mandat in die Hände der zurück gibt, die ihn gewählt haben. Er läßt sich nun in Offenbach von der USPD aufstellen; Offenbach hat aber absolut abgelehnt und einen Protest gegen seine Aufstellung bei der dortigen USPD eingereicht."

Bei aller verständlichen Erregung des Seligenstädter Sozialdemokratischen Vereines über den Parteiwechsel von Rudolf Katz darf aber nicht übersehen und vergessen werden, was er in der Vergangenheit für den hiesigen Verband getan hat. Mit billigen Ausreden und undankbaren Presseveröffentlichungen ist es nicht getan, wenn ein Parteimitglied die Organisation verläßt, eigene Schwächen zu überspielen, um einen Sünder für Versäumnisse als „Verräter" und „Zentrumssympathisant" zu suchen.

  Auf der nebenstehend angezeigten Parteiversammlung am 26. Juli diskutierte man über den Austritt von Rudolf Katz und die angestrebte
  Mandatsniederlegung als Gemeinderat. Sein Rücktritt soll bis zum Ende des Monats schriftlich von ihm eingereicht werden, und zwar an den Vorsitzenden des Sozialdemokratischen Vereines, Eduard Blei.

Anschließend berichtete Blei über die Bezirkskonferenz in Offenbach und die Anwesenden wählten die Kandidaten für die anstehenden Beigeordnetenwahl. Es waren Karl Peter Zöller von der SPD und Wilhelm Weiermann von den Demokraten. Beide Parteien sollten sich auf Grund ihrer Union im Wahlkampf gegen das Zentrum gegenseitig unterstützen.

Am 31. Juli 1919 verliest Eduard Blei vor dem Gemeinderat eine Erklärung seiner Partei:

„Herr Rudolf Katz ist aus der Sozialdemokratischen Partei ausgeschieden. Der Austritt hat zur Voraussetzung, dass er das ihm übertragene Gemeinderatsamt an seine Wähler zurückgibt. Da er dies nicht getan hat, so lehnt die Fraktion eine weitere Mitarbeit, namentlich in den Kommissionen, mit ihm ab und beantragt den Ausschluß aus den Kommissionen. Von der Zentrumsfraktion schließt sich Herr Thoma dem Antrag an".

Da dieser Punkt nicht auf der Tagesordnung stand, stellte dann der Genosse Karl Veith einen Dringlichkeitsantrag, der in der nächsten Sitzung bevorzugt behandelt werden soll. Nach weiteren Auseinandersetzungen erklärt sich Rudolf Katz dann bereit, die Kommissionen zu verlassen, sein Mandat aber vorerst nicht niederzulegen.

Am 3. August findet dann die Beigeordnetenwahl statt.
Das Ergebnis:

Franz David Fecher (Zentrum) 1 205 Stimmen
Karl Peter Zöller (SPD) 483 Stimmen

Nach dem klaren Sieg von Fecher findet eine Woche später wiederum eine Wahl für einen weiteren Beigeordneten statt. Diesmal war das Resultat nicht so überragend für das Zentrum:

Karl Rüll, Sparkassendirektor (Zentrum) 957 Stimmen
Wilhelm Weiermann, Kaufmann (Demokrat) 717 Stimmen

Weiermann konnte dieses beachtliche Ergebnis mit den Stimmen der Sozialdemokraten erreichen.

Am 4. September 1919 traten die Gemeinderatsfraktionen von SPD und Demokraten aus sämtlichen Kommissionen aus. Ursache: Ein schwerer Konflikt mit dem Zentrum infolge des Parteiübertrittes von Katz zur USPD. Nach dem Ausscheiden von Katz hätten alle Kommissionen durch einen neuen SPD-Vertreter ergänzt werden müssen. Das Zentrum erklärte nun aber plötzlich, dass es zukünftig bei 5 statt der früheren 6 Kommissionsmitglieder bliebe. Begründung: Das Zentrum geht davon aus, dass der Streit in der SPD-Fraktion nur vorübergehend sei. Die daraufhin geheim erfolgte Abstimmung bestätigt dann mit 12 gegen 5 Stimmen den Beschluß der Zentrumsfraktion, der somit den Austritt der Sozialdemokraten bedeutete. Als einziger sprach sich wiederum der Zentrumspolitiker Thoma für eine Gleichberechtigung aller in den Kommissionen aus. Es nutzte aber nichts, die Mehrheit hatte entschieden. Kurz darauf, am 7. September, billigte eine Mitgliederversammlung den Austrittsbeschluß der Fraktion.

Am 9. November, als die SPD ihre Revolutionsfeier abhielt - Referent war Wilhelm Widmann aus Offenbach - trafen sich auch Seligenstadts USPD-Anhänger zu einer Veranstaltung im „Schützenhof", wie die nachstehende Anzeige ausweist.

  Es sei an dieser Stelle zum Abschluß des Jahres 1919 nochmals bemerkt, dass die Ortsgruppe der USPD in Seligenstadt - im Gegensatz zu anderen Städten und Gemeinden - nie zur Geltung und Entfaltung kam und auch nur einen bescheidenen Anhang verzeichnen konnte. Während anderswo mit den Unabhängigen zu rechnen war, egal aus welcher parteipolitischen Perspektive betrachtet, spielte sie hier - bis auf den schon zitierten „Fall Katz" - keine Rolle.
  Auf einer Parteiversammlung am 11. Februar 1920 im „Schützenhof" legte Eduard Blei den Jahresbericht von 1919 vor. Er umriß anschließend die politischen und wirtschaftlichen Zustände in Reich, Staat und Gemeinde. Die Parteiarbeit im vergangenen Jahr war relativ gut: 11 Wahlkomitee-Sitzungen, 3 öffentliche Veranstaltungen und eine Frauenversammlung wurden abgehalten. Auch hatte man drei Gemeinderatssitze errungen, wobei durch den Obertritt von Rudolf Katz zur USPD für die Mehrheitssozialisten das Mandat als „erledigt" angesehen werden mußte.

Blei konstatierte ferner, dass nur fünf MSPD-Mitglieder zur USPD übergetreten sind. Er sprach dann über die Arbeit der Fraktion, streifte die wichtigsten behandelten Vorgänge wie Ernährungswesen, Wohnungsnot, Wohnungsbau, Besoldung, Holzhauertarif und den zum Abschluß gebrachten Pachtvertrag über die Torfausbeute. Nach dem Kassenbericht von Adam Schließmann wählte die Versammlung den neuen Vorstand.
Das Resultat der Wahl:
 
1. Vorsitzender: Eduard Blei
2. Vorsitzender: Nikolaus Kühn
Kassierer: Jakob Burkard
Schriftführer: Johann (Jean) Nierbauer
Beisitzer: Ernst Schaub,
Josef Kühn und
Adam Josef Bayer
Revisoren: Anton Hain und Jakob Faulhaber

Zur Vorbereitung der anstehenden Kreis- und Provinzialtagswahlen wurde eine zehnköpfige Kommission gebildet, in der außer den Vorstandsmitgliedern noch Anton Ott, Adam Malsi und Christian Korb vertreten waren.

Bevor die Wahlen stattfanden, veranstalteten MSPD und USPD noch je eine Wahlversammlung; die Mehrheitssozialisten riefen ihre Mitglieder dazu auf, die Versammlung der Unabhängigen zu meiden. Die Wahlen hatten dann folgendes Ergebnis:

Kreistagswahl   Provinzialwahl
Zentrum 738 Stimmen 747 Stimmen
MSPD 236 Stimmen 225 Stimmen
USPD 135 Stimmen 148 Stimmen
DDP 39 Stimmen 38 Stimmen
Vereinigte Rechtspartei 26 Stimmen 29 Stimmen

Mehr als 2000 Wahlberechtigte enthielten sich der Stimme.